Presse - Kritik des Inspekteurs schlug hohe Wellen

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Schmerzhafte Mahnung: Bei der Polizei warten zu viele auf Weisungen von oben

Der Leipziger Polizeikommissar Peer Oehler sorgt für einen Vorgang, der in der jüngeren sächsischen Polizeigeschichte beispiellos ist. In einem offenen Brief nimmt er einen seiner ranghöchsten Dienstvorgesetzten Maß, wirft ihm "menschliche Mißachtung" vor und verlangt "Respekt" vor seiner Arbeit. "Sie sind nicht der einzige Polizist, der arbeitet", wettert der 26jährige sächsische Kommissar über den 45jährigen Inspekteur der sächsischen Polizei Helmut Spang aus Baden- Württemberg. "Wie würden Sie sich fühlen", legt der Kommissar die Befindlichkeit vieler Kollegen offen, "wenn ein Sachse sagen würde, wir wären erst dann eine sächsische Polizei, wenn der letzte ´Westimport´ wieder die Heimreise angetreten hätte?"

Daß die respektlose Attacke ohne negative Folgen für den mittleren Beamten bleiben wird, hat einen heiklen Hintergrund. Polizeikommissar Oehler ist längst nicht der einzige ehemalige Volkspolizist, der in diesem Sommer Groll gegen den Inspekteur hegte. Helmut Spang hatte sich in einem Interview im Juli-Heft des Leipziger Stadtmagazins "Kreuzer" zu einem Satz verstiegen, mit dem er seinen soliden Ruf riskierte. Spang im "Kreuzer": "Wir werden den Anschluß an die Altpolizeien erreichen, was organisatorische Dinge angeht, in fünf Jahren, was technische Dinge angeht, schneller, was aber die Dinge im Kopf angeht, erst in der nächsten Generation. Wenn der letzte Angehörige der Deutschen Volkspolizei weg ist, dann haben wir eine bundeseinheitliche Polizei - vorher nicht."

Damit war der für alle Fragen des Polizeivollzugs zuständige Inspekteur, der eigentlich wegen seines Verständnisses für ostdeutsche Polizeibefindlichkeit bekannt war, so kräftig ins Fettnäpfchen getreten, daß "von ihm zur Zeit kein Polizist ein Stück Brot mehr nehmen möchte", resümiert ein Landesvorständler der Gewerkschaft der Polizei.

Arrogantes Anschnauzen

Alle drei Berufsverbände der Polizei distanzierten sich von der Äußerung des Inspekteurs und beschwerten sich bei Spang, der damit wenige Wochen vor der Landtagswahl auch seinen Minister einigermaßen in die Bredouille gebracht hatte. Eine offizielle Stellungnahme von Innenminister Eggert (CDU) wollte dessen Pressestelle Anfang der Woche nicht abgeben. Von Pressesprecher Bernd Kuska war lediglich zu erfahren, man teile diese Meinung des Inspekteurs nicht. Im Polizeipräsidium war man indes intensiv um Schadensbegrenzung bemüht. Der Brief des jungen Polizeikommissars aus Leipzig, erschienen im Mitteilungsblatt des Landespolizeipräsidiums, ist Teil des Krisenmanagements.

Helmut Spang stellt sich ebenfalls in dem Blatt, das seit wenigen Tagen kursiert, noch einmal zum Interview. Unter der Überschrift: "Offen miteinander umgehen - auch wenn es weh tut!" nimmt er ein heißes Eisen in die Hand: Die offenbar zum Teil gravierenden Mängel im Dienst einzelner Polizisten. "Vom arroganten Anschnauzen über recht fehlerhaftes Einschreiten bis zum Gar- nicht- Tätigwerden" reicht die Bandbreite von Beschwerden, die bei ihm täglich eingingen, erklärt Helmut Spang. Im Westen müßten sich Polizeiführer "nicht annähernd in diesem Umfang" beim Bürger entschuldigen, weil Bedienstete vor allem der Schutzpolizei unqualifiziert handeln. Gern hätte Spang noch einige Jahre lang auch für die Polizei jenen "Übergangsbonus" der in Sachsen vielen anderen Bereichen zugebilligt wird. Doch die Beschwerden betrachtet er als Mahnung, daß der Polizei ein solcher Bonus nicht zugebilligt wird. Äbsoluter Schwerpunkt" (Spang) dabei: Der unangemessene Ton einzelner Bediensteter. Unruhig machen ihn auch Fälle von Untätigkeit, die Spang auf Handlungsunsicherheit zurückführt.

Die Ursachen dafür sitzen tief. Tatsächlich fällt es Schutzpolizisten, die früher auf Bahnhöfen oder an Betriebstoren Wache geschoben haben, schwer, den erheblich gestiegenen Anforderungen selbständigen Handelns bei Verkehrsunfällen oder Bagatellstraftaten gerecht zu werden. So sorgte beispielsweise am S-Bahn- Haltepunkt Neusörnewitz zwischen Meißen und Coswig eine Polizeistreife auf dem Bahnsteig mehrmals in althergebrachter Weise für Ordnung. Sie kassierte die Bürger ab, die bei geschlossener Schranke die Gleise überquerten, statt sie direkt am Übergang durch ein freundliches, aber bestimmtes Wort vor der Gefahr zu bewahren und von einer Ordnungswidrigkeit abzuhalten.

So ergab die Untersuchung der Unternehmensberatung Kienbaum in der sächsischen Polizei, daß sich die Mehrzahl der sächsischen Polizisten detaillierte Handlungsanleitungen für ihren Dienstalltag wünscht. Das, so Spang, widerspreche völlig der Polizeiphilosophie des demokratischen Rechtsstaates. Verbreitet, schildert der Inspekteur seine Erfahrungen, sei immer noch das Warten auf das Klingeln der Telefone, aus denen dann von oben tönt, was zu tun ist. Doch erst "wenn wir den letzten Rest des obrigkeitsstaatlichen Denkens der ehemaligen Volkspolizei abgelegt haben, ist bundesrepublikanisches Niveau erreicht", erklärt Spang. Nur so sei seine Äußerung im "Kreuzer" zu verstehen gewesen und nicht als Ankündigung einer neuen Entlassungswelle.

Ohne Übergangsbonus

Mehr Geduld mit den Bediensteten fordern auch die Berufsverbände der Polizei. Sie werfen der Polizeiführung vor, daß die Weiterbildung der ehemaligen Volkspolizisten längst nicht optimal verlaufen sei. Eine vierteljährliche "Schnellbesohlung" (Polizeijargon) reiche nicht, um einem sächsischen Polizisten beizubringen, was ein baden- württembergischer Polizist in drei Jahren lernt, meint beispielsweise der sächsische Landesvorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Harald Eber. Auch Polizeiinspekteur Spang sieht die erheblichen Defizite in der Fortbildung als eine Ursache für unqualifiziertes Handeln der Polizei. Ein halbes Jahr Schulung brauche jeder mindestens noch, schätzt er ein. Doch mehr als neun Prozent der Bediensteten seien dafür nicht aus den Diensteinheiten herauszulösen. Im Oktober, kündigt er an, wird mit einer neuen Form der Fortbildung begonnen, bei der vor allem auch Verhaltenstraining und Streßbewältigung vermittelt werden sollen. Insbesondere auch das mittlere Management in den 86 sächsischen Polizeirevieren soll damit handlungssicherer gemacht werden. Bis dahin, so Spang, müßten eben noch öfter die Telefone klingeln.

Doch in den Berufsverbänden beobachtet man überdies auch, daß einige Polizeiführer aus den alten Bundesländern vom sogenannten kooperativen Führungsstil nicht viel halten. Die würden die autoritäre Gangart bevorzugen, was auch zu neuen Verunsicherungen bei Bediensteten führe, heißt es in der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Von dort, so macht sich der sächsische GdP- Landesvorsitzende, Volker Groschupf, bei dem Thema Luft, seien "nämlich keinesfalls nur Asse, sondern auch einige Nießtüten gekommen". Inspekteur Helmut Spang kann das nicht dementieren.

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