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Es ist geraume Zeit her, dass mir von Freunden empfohlen wurde, modern zu werden, mich zu verinterneten, zu verwebsiten und zu verflatraten. Nun irre ich durch die Weiten des Webs und finde das eine oder andere Faszinierende. So zum Beispiel auf die Seite der Sudbury Schools.

Sudbury Schools arbeiten nach dem Modell der Sudbury Valley Schools, die vor 31 Jahren in Massachusets, USA, gegründet wurden und haben einen auf den ersten Blick furchterregenden Bildungsansatz: Schüler würden angeblich selbst lernen wollen, bedürften keines Lehrplanes und keiner Noten, sondern einzig ihres Interesses und fachlicher Begleitung im Rahmen ihrer inneren Motivation. Konsequenterweise heißen Lehrer dort auch nicht Lehrer, sondern sind Mitarbeiter des Schülers. Und wenn der Schüler etwas wissen will, bittet er einen seiner Mitarbeiter, ihm dies zu erklären. Ist doch auch mal ganz nett!

Nun eignen sich Taktik, Recht und Schießausbildung nicht zur Anwendung dieses Modells in den Polizeifachschulen. Aber in Zeiten, in denen sich Beamte in Ausbildung wünschen, mehr als Kollege, denn als Schüler betrachtet zu werden und in Zeiten, in denen ein Einsatzbeamter im BePo- Journal die Verweilzeit in der Bereitschaftspolizei mit einer Kindergartenzeit vergleicht, sollte man mal darüber nachdenken, wo selbstmotiviertes Lernen gefördert werden könnte. Ich halte die derzeitigen Ansätze für zu bedeutungslos.

Wie wäre es da mit dem Fach Gesellschaftslehre. Unsere Beamten in Ausbildung werden in diesem Fach mit Themen konfrontiert, für die sie in meinen Augen zwar grundsätzlich sensibilisiert sind, zu denen ihnen aber oftmals der reale Bezug in ihrer konkreten Lebenswirklichkeit fehlt. Daher bringt es meiner Meinung nach nicht immer viel, ihnen per Plan vorzuschreiben, sie müssten jetzt, die deutsche Geschichte aufrollen, morgen lernen, was Sozialstaatlichkeit bedeutet und nächste Woche per Plan dazu überzugehen, die Europäische Union schick zu finden.

Ich denke, es bedarf dieses Planes nicht, auch nicht der Benotung und erst recht nicht eines Leistungsdrucks, wenn unsere Beamten in Ausbildung begreifen sollen und wollen, wo ihr Platz in dieser Gesellschaft ist. Warum reicht in diesem Fach nicht ein Themenspeicher, der einen Anhalt bietet, was behandelt werden sollte? Warum wartet der Fachlehrer (oder der Mitarbeiter des Stammpersonals) nicht auf die Fragen der Schüler zu aktuellen Ereignissen? Warum überlässt man es dem Fachlehrer und dem Beamten in Ausbildung nicht selbst, anhand von Tagespolitik und jeweiligem Interesse zu diskutieren und dabei zu lernen und zu lehren.

Themen, bei denen das funktionieren kann, gäbe es viele. Wenn am 22. September Bundestagswahl ist, sind die meisten BiA Erstwähler. Aus diesem Anlass kann die Ausbildung zum gesamten Thema Wahlen erfolgen. Wenn in Leipzig die NPD demonstriert, bietet das eine Brücke zur Extremismusdefinition. Wenn genau bei der Veranstaltung Oberbürgermeister Tiefensee an einer Blockade, sorry: Spontandemo, beteiligt ist, wäre das eine Gelegenheit, das Wissen über die Bindung aller Gewalten an Recht und Gesetz aufzufrischen. Wenn Osama Bin Ladens Terror die Welt erschüttert und viele pauschal von Islamisten sprechen, dann kann man die BiA gewinnen, sich für den Islam, seine Grundsätze und seine Spielarten zu interessieren. Und so weiter...

Ich denke, dass dies alles zumindest nachdenkenswert ist. Dieses Lehrverständnis fordert Lehrer und Beamte in Ausbildung. Es fordert Kreativität und eigenen Einsatz. Es bringt uns Mitarbeiter, die sich nicht gezwungen fühlen, sondern das zu Lernende als Erfüllung eigener Neugier begreifen. Es macht den Polizisten in Ausbildung zum Subjekt in der Lehre und leistet somit einen Beitrag, dass sich der eine oder andere auch nicht mehr wie im Kindergarten fühlt. Und ganz nebenbei erzieht dieses Modell sogar zu eigenverantwortlichem Handeln.

Ich würde mich freuen, wenn dieser Gedanke zumindest diskutiert und nicht gleich mit der Begründung ad acta gelegt wird, dass wir es so ja noch nie gemacht haben. Beamte in Ausbildung sind fähiger, als wir es ihnen manchmal zutrauen. Der Besuch der Website lohnt sich in jedem Fall.

Peer Oehler / 1. BPA, Personalratsvorsitzender

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