Presse - Von Simulanten und Leidtragenden

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Von Peer Oehler

Als ich in früherer Zeit aufmerksam meiner Lehrer Worte lauschte, wenn sie sich zum Thema Kapitalismus ergossen, wurden zugegeben viele Klischees bedient. All die Ureinwohner dieses Landes erinnern sich: der faulende, sterbende, parasitäre ...! An ein Thema erinnere ich mich genau. Im Kapitalismus haben die Leute Angst, zum Arzt zu gehen, weil sie dann um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen. Und so sah ich vor meinem geistigen Auge, wie sich zahllose ausgemergelte Körper im Morgennebel hustend ans Fließband der Rüstungsindustrie schleppen.

Aber das war ja der Frühkapitalismus. Heute ist alles ganz anders. Zugegeben scheint namentlich in Behörden und vornehmlich für Beamte und Angestellte die Angst vorm Verlust des Arbeitsplatzes begrenzt zu sein und diese dankenswerte Sicherheit leitet auch einige fehl. Wer ernsthaft glaubt, dass zum Beispiel die Polizei frei von Abstinkern sei, lebt nicht in dieser Welt. Die Polizei ist ein getreues Spiegelbild der Gesellschaft, wir sind nichts besseres. Also Kampf den Abduckern und Montagskranken! Bin ich dabei, das gehört zum Leistungsprinzip. Und weiter: Prüfung der Polizeidienstfähigkeit von Langzeit- oder Zu- oft- Kranken! Bin ich auch dabei, auch wenn diejenigen möglicherweise in einen ganz anderen Topf gehören. Aber in all der ungestümen Begierde, den Haushalt des Freistaates Sachsen vor unnötigen Ausgaben zu bewahren, sollte eines gewahrt werden: Augenmaß!

Um nicht falsch verstanden zu werden noch einmal ganz deutlich: Im Interesse der Beschäftigten, die ihre Arbeit anständig leisten und zum Wohl der Dienststelle ist es geboten, Schmutzfüße auch Schmutzfüße zu nennen. Daran kann es keinen Zweifel geben. Auch wer in der Tat (meist unverschuldet) polizeidienstunfähig ist, wobei die Kriterien dafür ungeheuer anspruchsvoll sind, muss leider, dann aber rechtlich sauber und anständig mit der Dienststelle nach einer neuen Perspektive suchen. Aber das alles mit Augenmaß!

Abschließend: Eine PM´ in z.A. sprach mich auf das Problem an und fragte, ob sie nicht besser die geplante Operation während der Probezeit verschieben solle. Und da war er wieder (etwas abgewandelt) vor meinem Auge: der sich zur Arbeit schleppende, gesundheitlich angeschlagene Körper. Ich bitte alle Verantwortungsträger herzlich bei allem Verständnis für das Anliegen, dafür zu sorgen, dass keiner glauben muss, an ehemals gelehrten Klischees wäre etwas dran.

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